Giovanni Segantini - Magie des Lichts
Christian Labhart , Suisse, 2015o
Giovanni Segantini était à la fois peintre, anarchiste, marginal, apatride. Le film thématise son enfance dramatique et s'immisce dans l'acte créatif de la peinture. Ses peintures originales, ses propres textes, la musique et les impressions de la vie et des habitats de Segantini se mêlent dans un film méditatif et offrent une approche émotionnelle de la vie et de l'œuvre du célèbre peintre.
Christian Labhart, der Zürcher Dokumentarfilmer, ist von Segantinis Leben und Werk gleichermassen fasziniert, ergriffen sogar, wie er sagt. Das merkt man seinem Film an, der die raumfüllenden Bilder des Malers mit historischen Orten und Naturaufnahmen kombiniert. Aus dem Off erklingt getragene Musik, dazwischen liest Bruno Ganz aus Segantinis Tagebuch, Mona Petri trägt Ausschnitte aus der Biografie von Asta Scheib vor. Dabei wird eine Menge Pathos produziert, aber das Werk des Malers kommt zu wuchtiger Wirkung.
Jean-Martin BüttnerGiovanni Segantini (1858 – 1899), einst als Genremaler verklärender Alpenidyllen abgetan, wird vom Schweizer Dokumentaristen Christian Labhart auf faszinierende Weise neu entdeckt als Naturmystiker und visionärer Lichtzauberer. Ein Künstlerporträt, das den kreativen Impulsen nachspürt. Schilderung eines entbehrungsreichen Lebens, dem die künstlerische Selbstermächtigung mit großer Passionsgeste abgetrotzt wird.
Rainer GanseraGalerie photoso
Christian Labharts intensiver Dokumentarfilm über Giovanni Segantini verzichtet auf kunstwissenschaftliches Zerreden. Er lässt die Bilder selber sprechen. Und den Maler.
Ein solches Leben und Werk, in einem derartigen Widerspruch zueinander; ein so eigenwilliger Künstler wie Giovanni Segantini (1858–1899), der als Maler von Berglandschaften, Menschen und des Lichts berühmt wurde, das auf sie fällt, zugleich mit den Behörden im Streit lag, anarchistische Ansichten vertrat und als Staatenloser in die Schweiz flüchtete, der sich zuletzt ins Engadin zurückzog, wo ihn auf einer Alphütte ein früher Tod ereilte mit nur 41 Jahren: Diese Kombination aus Bildern, Biografie und Schicksal drängt zu einer Verfilmung. Der Zürcher Dokfilmer Christian Labhart hat sie in «Giovanni Segantini, Maler des Lichts» gewagt.
Er habe fünf Jahre lang daran gearbeitet, sagt der 62-Jährige im Gespräch. Die Idee dazu sei ihm viel früher gekommen: «Segantinis Bilder begleiten mich seit über vierzig Jahren.» In einer frühen Fassung des Films liess der Regisseur Experten auftreten, kam dann aber davon ab und ist heute froh darum. Er hat recht. Dass die Bilder nicht von Kunsthistorikern zu Texten gemacht werden, erleichtert den Zugang zu ihnen. Statt Analysen liefert der Film Ergänzungen: durch autobiografische Briefe und Texte des Malers und Auszügen aus «Das Schönste, was ich sah», dem Künstlerroman von Asta Scheib.
Bruno Ganz liest Segantini, Mona Petri trägt aus dem Roman vor. Der Maler selbst wird nicht von einem Schauspieler nachgestellt – zum Glück, denn auch dieser Verzicht erweist sich als Vorteil. In seiner Abwesenheit tritt er durch seine Bilder noch stärker hervor. Christian Labhart hat einen Film gedreht, der alles Unwichtige, Dazuerfundene, Nachgeredete weglässt und seiner Hauptfigur dadurch näherkommt.
Bruno Ganz aus dem Off
Dabei vertraut der Regisseur dem Blick von Pio Corradi, dem Ästheten unter den Kameramännern, der die wuchtigen Gemälde des Malers mit Aufnahmen aus den Bündner Bergen und aus den Orten seines Lebens gegenschneidet. Segantinis arme Kindheit im Südtiroler Dorf Arco und später in Mailand; der Tod der geliebten Mutter, das Verschwinden des Vaters; Überleben als Tagedieb, Einweisung des Zwölfjährigen in eine katholische Erziehungsanstalt, wo er zu malen beginnt; Aufnahme in die Kunstakademie, Verweigerung des Kriegsdienstes, Liebesglück, vier Kinder, Umzug ins Bündnerland, Erfolg und Tod, offiziell an Blinddarmentzündung, möglicherweise aber auch an den Folgen einer Bleivergiftung, die vom Bleiweiss in seinen Farben herrührte.
Der Anfang des Films gibt die Stimmung vor, die Labharts Film ganz bestimmt. Die Kamera fährt eine Gebirgskette ab, wie Segantini sie gemalt hat, Bruno Ganz trägt aus dem Off vor, wie der Maler seine Arbeit und sein Leben zusammengedacht hat in seinen absoluten Worten: «Die Kunst stirbt niemals. Sie ist ein Teil unseres Ichs. Sie ist mit unseren Leidenschaften verknüpft, darum ist sie unzerstörbar. Mein Leben ist ein einziger Traum, der sich allmählich einem Ideal nähert bis hin zum Verlöschen der Materie.»
Bilder in Bewegung
So kann nur einer denken, der das Grosse bannen möchte, in dem er es auf die Leinwand wirft. Immer wieder sucht Corradis hochauflösende Black Magic Camera Segantinis Bilder ab, der die Farben in Linien aneinanderlegte und komplementär aneinandersetzte, macht filmend sichtbar, wie dem Maler gelang, was er sich vorgenommen hatte. Die Spezialkamera erlaubt eine möglichst genaue Farbkorrektur, und dass der Kameramann die Bilder nicht statisch abbildet, sondern in einer Bewegung erfasst, verstärkt die Wirkung.
So bleibt der Regisseur nahe an Giovanni Segantinis Werk und Ansichten, handelt sich damit aber einen Nachteil ein, der seinen schönen Film belastet: die Schwere des Pathos. Die aufgetürmte Prosa in Segantinis Texten klingt heute fremd und aufdringlich, der gelegentlich sentimentalische Zug von Asta Scheibs Biografie schafft keinen Kontrast dazu. Dazu kommt noch die Musik, ausgewählter Barock und Kompositionen des Schweizer Musikers Paul Giger für Streicher, Orgel und Countertenor; obwohl Labhart die Musik zurückhaltend einsetzt, wirkt sie so stark auf den Film ein, dass sie die Bilder gelegentlich überwältigt.
Aber das sind Klagen auf alpinem Niveau.
Giovanni Segantini war nicht einfach Idylliker. Das zeigt eine hervorragende Ausstellung in der Fondation Beyeler.
«Voglio vedere le mie montagne.» Das waren, so wird überliefert, die letzten Worte von Giovanni Segantini. «Ich will meine Berge sehen», soll der Maler der Bündner Berge gesagt haben, als er 1899, gerade erst 41-jährig, in einer Berghütte auf dem Schafberg starb. Er hatte dort oben, 2731 Meter über Meer, am Mittelteil seines legendären «Alpentriptychons» gearbeitet, der den Titel «Natur oder Sein» tragen sollte.
Er hat sie gesehen, die Berge. Und er lässt sie uns sehen in einem Licht, das in dieser Art so vor ihm noch niemand gemalt hatte: flimmernd, frühlingshaft, klirrend kalt – ein Arkadien, in dem der Tod und das Leid fast ständig anwesend sind. Keine Idylle, kein frömmelnder Gottesdienst also, wie man sie Segantini andichtete – und wie die Rezeption sie in massenhaften Reproduktionen ähnlich verzerrend verbreitete, wie sie Ferdinand Hodler zum schweizerischen Nationalmaler heroisierte.
Auf den Bergen des Herzens
Segantini malte die Berge als Metaphern des Seins, als Kosmos, in dem der Mensch ausgesetzt ist «auf den Bergen des Herzens», wie das Rainer Maria Rilke etwas später dichtete. Das wird in der aktuellen Ausstellung der Fondation Beyeler erlebbar, angefangen mit selten gezeigten Frühwerken des frühreifen Malers, der schon sehr bald für sich die malerische Technik der Farbauflösung entwickelte und damit ebenbürtig mit Georges Seurat steht. Nicht ausgestellt sind aus konservatorischen Gründen manche Schlüsselwerke. Das ist kein Mangel, denn gezeigt werden – und das ist entscheidend – viele Werke, die bisher kaum oder nie zu sehen waren. Dazu gehören die vielen Arbeiten auf Papier, die gewissermassen intimer nachvollziehen lassen, wie Segantini arbeitete.
Dazu gehören ebenfalls Dokumente, vor allem Fotografien, die der Co-Kurator Guido Magnaguagno erst vor wenigen Wochen im Estrich des Segantini-Chalets in Maloja entdeckt hat. Gerade diese Fotografien ergeben Aufschlüsse über die Art, wie Segantini die Berge sah. Und dass er, der sein Atelier eigentlich immer in der freien Natur aufschlug, sich durchaus der damals neueren Technologie bediente. Indirekt dokumentieren die Fotografien zudem, dass man über den berühmten Maler eigentlich noch sehr wenig weiss – obwohl vieles von ihm und über ihn überliefert ist.
Die Kathedrale der Natur
Auf den ersten Blick gibt die Ausstellung kein vollkommen neues Bild von Segantini, mit Gewissheit aber ein intensives. Eines, das die Vielschichtigkeit dieses Malers erleben lässt. Auf der einen Seite ist das die philosophische Dimension des Künstlers, der erst als Erwachsener mehr schlecht als recht schreiben und lesen lernte. Es ist eine Weltsicht, die ganz im Zeitgeist eine Art von Pantheismus zelebriert, durchaus also eine Gegenwelt zur rasant fortschreitenden Industrialisierung. Es ist eine Kunst, die auf das Gesamtkunstwerk drängt. Ausdruck dafür ist das letztlich gescheiterte Projekt Segantinis, für die Weltausstellung von 1900 ein grosses Engadiner Panorama zu schaffen, in dem das Publikum in die Bergwelt und in das Licht der Farben eingetaucht wäre. Es sollte die Berge als «Alpenharmonie» in eine Synthese einschliessen, wie das der Künstler formulierte. Es sollte die Berge als Kathedrale der Natur zelebrieren.
Das Licht der Farben und die Farben des Lichts: Hier zeigt sich, wie sehr Segantini die Zeitströmungen wahrnahm und verarbeitete, obwohl er als Sans-Papiers kaum reisen konnte. Geradezu begierig muss er Kunstzeitschriften verschlungen haben. Bekannt ist auch, dass er sich aus den aktuellen Werken der Literatur vorlesen liess, während er malte. Die scheinbar heile Bergwelt, die sich im Flimmern der Farben aufzulösen scheint, widerspiegelt bereits eine neue Weltsicht, wie sie sich wenige Jahre später in der Malerei des Kubismus radikalisieren sollte.
Ausgezeichnet herausarbeitet
Und eben das ist die andere Seite im Werk von Segantini, die die Ausstellung in Riehen ausgezeichnet herausarbeitet. Es ist das Phänomen, dass Segantini, der in den Gossen Mailands aufwuchs, zu den grossen Neuerern der Kunst gehört und ein bedeutender Wegbereiter der europäischen Moderne ist, mit Bezügen zu Millet, Daumier, Monet, Van Gogh, Klimt – und Hodler. Mit diesem teilt er nicht nur das pantheistische Ideal, sondern ebenso kompositorische Elemente wie den Parallelismus oder die Ornamentik der Wolken.
Das Kuratorenteam von Magnaguagno, Ulf Küster und der Segantini-Urenkelin Diana Segantini, betont, die Ausstellung sei keineswegs die ideale Segantini-Schau, weil viele wichtige Werke fehlen. Dennoch ist die Präsentation in der Fondation Beyeler eine Überraschung. Und sie ist am richtigen Ort, weil sich durch den Kontext der Sammlung die Bezüge Segantinis zur Moderne fast automatisch ergeben. Und weil sich in der noch bis 6. Februar verlängerten «Wien»-Ausstellung – wenigstens für kurze Zeit – Segantinis Bezug zu Klimt augenfällig überprüfen lässt.
Unter den Bergbewohnern
Und schliesslich folgt man Bild für Bild einer künstlerischen Entwicklung, die Segantini selbst einmal formulierte, sein kurzes Leben konkret und zugleich bildlich zusammenfassend: «Ich strebte immer weiter hinauf in die Höhen. Von den Hügeln ging ich zu den Bergen unter die Bauern, die Hirten, zu den Bewohnern des Hochgebirges. In jenem Lande lenkte ich kühner mein Auge auf zur Sonne, deren Strahlen ich liebte, die ich mir erobern wollte. Hier war es, wo ich am tiefsten die Natur in ihren lebendigsten Formen und in ihren leuchtendsten Farben studierte.» Segantini sah die Berge.